Wer entscheidet wirklich, ob jemand (un)schuldig ist? Muss man in der Öffentlichkeit gut ankommen, um zu seinem Recht zu gelangen?
Wenn es nach Lippenbekenntnissen geht, sind Textilkonzerne gegen die Ausbeutung und Gefährdung von ArbeiterInnen; PolitikerInnen setzen sich – zumindest verbal – für die Biene und für Bildung für alle ein. Und: Sogar Parolen rülpsende Rechtspopulisten sprechen von der Wahrung der Menschenrechte. Wie wir wissen, folgen auf Worte nicht immer Taten. Bessere Chancen auf Unterstützung von EntscheidungsträgerInnen haben aber jene Personen und Bereiche, die bei WählerInnen und KonsumentInnen hoch im Kurs stehen.
Im Mai kam der Film „Fünf Jahre Leben“ in Deutschland in die Kinos. Das Drama basiert auf der Geschichte von Murat Kurnaz. Der gebürtige Bremer mit türkischen Wurzeln und islamischem Glauben war einer der ersten Insassen im US-Gefangenenlager in Guantánamo auf Kuba. Er war 2001 nach Pakistan gereist, dort von Sicherheitsbehörden aufgegriffen und für ein Kopfgeld an die USA übergeben worden. 2006 kam er wieder frei. Die Behörden in den USA und in Deutschland konnten Kurnaz über die Jahre kein Vergehen nachweisen. Gefoltert wurde er trotzdem. Eine Entschädigung, oder zumindest eine Entschuldigung, bekam er nie.
Lange wurde Kurnaz das Image des „Bremer Taliban“ nicht mehr los. Diesen Namen hatten ihm Medien verpasst. Nur die konsequente Aufarbeitung des Falles durch Kurnaz’ Anwalt Bernhard Docke und JournalistInnen wie den nunmehrigen „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk (damals im Einsatz für die Hamburger „Zeit“) brachte den Bremer aus der Schusslinie. Dass deutsche PolitikerInnen und Funktionäre, die sich in der Causa nachweislich alles andere als korrekt verhalten hatten (etwa Frank-Walter Steinmeier von der SPD) weiter Karriere machten, konnten sie nicht verhindern. Hatte Kurnaz wegen seines „bedrohlichen“ Aussehens inklusive langem Bart und zotteligen Haaren zu wenige SympathisantInnen? Hat gar sein Glaube damit zu tun? Jedenfalls wurde der öffentliche Druck nie groß genug.
In vielen Fällen ist es die Öffentlichkeit, die über Recht und Unrecht, über Opfer oder Täter entscheidet. Das kann man nutzen: Kampagnen und Initiativen können durch das Hinweisen auf Unrechtsfälle etwas erreichen. Aber es birgt auch Gefahren: Beim Wetteifern um die Gunst der Zivilgesellschaft haben manche bessere Karten als andere.
Und was, wenn jemand überhaupt keine Lobby hat? Mitte Mai waren immer noch 166 Menschen in Guantánamo eingesperrt. Nur neun von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt wegen eines Verbrechens angeklagt oder verurteilt. Die Häftlinge, die in den vergangenen Jahren wenig Neugierde westlicher Medien auf sich zogen, sahen nur noch einen Ausweg: Ende Februar traten die ersten in einen Hungerstreik, bald waren es über 100.
Als der internationale Druck noch groß war, versprach Barack Obama im US-Wahlkampf 2008, als Präsident Guantánamo zu schließen. Der Versuch scheiterte an einer Blockade im Kongress. Seitdem sind vier Jahre vergangen.
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